Eines der ersten Geschenke, das ich als Kind bekam und an das ich mich noch gut erinnern kann, war ein kleiner Kasten mit Tempera-Farben. Später kamen als Ausstattung Ölfarben, ein Stativ und ein paar Leinwände hinzu. Ich erinnere mich an mein erstes „Meisterwerk“,. gemalt im Alter von 11 Jahren während der Sommerferien in den Bergen. Es kostete mich Tage, und das Ergebnis war nichts Außergewöhnliches, hingegen war das Gefühl, etwas geschaffen zu haben, immens.

In den anschließenden Jahren als Teenager hatte ich lauter tolle Hobbys: Kunst, Musik, Politik und was nicht alles. Dann heiratete ich und begann mit dem Reisen. Es war unbequem, einen Kasten mit Ölfarben herumzuschleppen – und überhaupt, wer hatte schon Zeit für Malerei? Das letzte Ölgemälde, das ich malte, war ein Sonnenuntergang auf Sizilien, als ich mit meinem ersten Kind schwanger war.

Dann malte ich viele Jahre lang gar nicht mehr.

Als meine Kinder klein waren, ermutigte ich sie, zu zeichnen. Mein Sohn Mark zeigte eine besondere Neigung für Kunst und wurde später von Beruf Karikaturist. Er fragte mich oft, „Mami, warum fängst du nicht wieder an, zu zeichnen und zu malen?“

Eines Tages, am Ende eines Besuchs, fragte er mich wiederum, ob ich nicht etwas für ihn malen könnte. Und dieses Mal erklärte ich mich dazu bereit. Stell dir vor, ich kam mir vor, als wären Äonen vergangen, seit jenem letzten Sonnenuntergang auf Sizilien. Ich war total verrostet! Ich konnte kaum mit dem Pinsel hantieren und brauchte eine Weile, um mich an die wichtigsten Grundlagen der Schattierungstechniken zu erinnern.

Ich beendete das Gemälde – vor allem, um meinem Sohn eine Freude zu machen – und hatte vor, meine Malsachen hinterher wieder wegzuräumen. Aber nur zwei Monate später baten mich zwei Freunde, ihnen zu helfen, eine 6 x 8 Meter große Wand zu bemalen. Es war beängstigend, und um das Maß vollzumachen, musste ich im Stehen auf einer Hebebühne arbeiten! Die Reaktionen auf das Wandgemälde machten mir jedoch Mut, und daraus entwickelte sich ein neues Hobbys: Wandmalereien in Schulen, Krankenhäusern, Jugendzentren und Privathäusern.

Heute genieße ich es, irgendeinen grauen, schäbigen Platz in ein Feuerwerk von Farben und in ein Fest heiterer Bilder zu verwandeln. Eines Tages meinte ein älterer Patient, seit jene fröhlichen Kinder auf der Zimmerwand des Krankenhauses gegenüber von seinem Bett ihn „ununterbrochen anlächelten“, würde er sich nicht mehr so einsam fühlen! Jene „fröhlichen Kinder“ waren das Werk unserer Pinselstriche.

Ich glaube, jeder von uns hat eine vergessene Leidenschaft, die tief im Innern vergraben liegt und nur darauf wartet, wieder erweckt zu werden. Als ich die Reaktionen der Menschen beobachtete, nachdem ihr Umfeld verändert worden war, hat das sicherlich meine alte Leidenschaft für die Malerei erweckt, und heute liegen meine Farben stets bereit für die nächste graue Wand.