Ich pflegte meine eigene Vorstellung von Langmut und Geduld zu haben. Langmut hieß für mich immer, sich mit etwas abzufinden, Geduld bedeutete, etwas eine gewisse Zeit hinzunehmen. Das Erste drückte sich aus in: „Ich wünschte, ich hätte nicht …“, und das Andere in: „Ich wünschte, ich hätte …“ Zu beiden gehört natürlich etwas mehr als das, besonders zu Langmut.
Als ich das griechische Wort μακροθυμέω (phonetisch, makrothumia) im Wörterbuch nachschlug, in einigen Bibelversionen mit „Langmut“ übersetzt, entdeckte ich einen weiteren Aspekt. Makro bedeutet „Lang“ (das ist nichts Neues), und Thumia bedeutet „Wut, Zorn“ (Quelle: Pons Wörterbuch Griechisch, vom Stammwort Thumos), was mir die Augen öffnete. Darum könnte eine etwas genauere Übersetzung von makrothumia heißen: „Lang zum Zorn“ [Vgl. Luthers „langsam zum Zorn“ Sprüche 19:11: „Klugheit macht den Mann langsam zum Zorn“ und Jakobus 1:19: „Ein jeder Mensch sei … langsam zum Zorn“ LUT 1984]. Und das bedeutet „beherrscht“ und ist das Gegenteil von „Kurz zum Zorn“, also „aufgebracht“.
Als mein Schwager vor einiger Zeit von einer Konferenz zurückkehrte, berichtete er mir, dass einer der Redner erklärte, dass plötzliches Ausrasten nun mit IED (Intermittent Explosive Disorder) bezeichnet werden würde, d. h. Störung der Impulskontrolle. Wenn plötzliche Gereiztheit jetzt als Geistesstörung angesehen wird, dann macht es Sinn, Langmut als Zeichen geistiger Gesundheit zu betrachten. Der Redner fuhr fort, dass IED alarmierende Ausmaße erreiche. Meine eigene Erfahrung, die ich vor kurzem gemacht habe, liefert einen kleinen anekdotenhaften Beweis dafür.
Bei einem Spaziergang mit meiner Frau im Ortszentrum brach eine gut gekleidete Dame hinter uns in einen Schwall von Kraftausdrücken aus, der einem die Schamröte ins Gesicht trieb. Offensichtlich war sie über einen älteren Fahrradfahrer aufgebracht, der auf dem Bürgersteig anstatt auf der Straße fuhr. Der plötzliche „Wutausbruch auf dem Bürgersteig“ dieser sonst so elegant aussehenden Dame im mittleren Alter verschlug mir einfach die Sprache.
Wir leben in einem Badestrandort und können sehen, wie die Bevölkerungsdichte über die kommenden Sommermonate hinweg kräftig anschwillt. Das ist gut für die örtliche Geschäftswelt, doch es wirkt sich schlimm auf die Lebensmittelpreise, auf den Verkehr sowie auf andere Gesichtspunkte unserer ansonsten gemütlichen Kleinstadt aus. Spätestens in der Badesaison haben wir dann die Gelegenheit, uns in Langmut zu üben.
Im Brief an die Kolosser zählt der Apostel Paulus einige der Qualitäten und Eigenschaften auf, die Christen pflegen und kultivieren sollten, und – ja, richtig geraten – Langmut (Geduld) ist eine davon. „Seid voll Mitleid und Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftheit und Geduld. Seid nachsichtig mit den Fehlern der anderen und vergebt. … Vergesst nicht, dass der Herr euch vergeben hat, und dass ihr deshalb auch anderen vergeben müsst. Das Wichtigste aber ist die Liebe. Sie ist das Band, das uns alle in vollkommener Einheit verbindet.“ Sie ist der Klebstoff und das Bindeglied, das den Rest zusammenhält. „Euren Herzen wünschen wir den Frieden, der von Christus kommt.“ [Kolosser 3:12-15]
Dem gibt es nichts mehr hinzuzufügen.