DRACHENFLUG

Von Curtis Peter van Gorder

Ich schnallte meine Gurte fest und überprüfte meine Ausrüstung auf sicheren Sitz. Die Lenkschnüre waren fest in meinen Händen. Die geflügelte Kreatur schwankte, bockte, wand sich und ruckte, um sich von ihren Fesseln zu befreien und mich in den Abgrund zu werfen. Meine beiden Helfer, einer auf jeder Seite, konnten ihr Ungestüm und ihre Wildheit im Zaum halten. Doch dazu benötigten sie ihr ganzes Geschick und all ihre Kraft, um den Gleiter davon abzuhalten, mich von meinen Füßen zu reißen und in seinen Schlupfwinkel zu tragen.

Die Stimme im Funkgerät brachte mich zurück in die Realität. „Hände zurück, Handflächen nach oben, lehne dich nach vorne, schau geradeaus … Startposition!“ Es war Avi, unser Lehrer, der Mentor, der uns die Fähigkeit beibringen sollte, uns der Schwerkraft zu entziehen und zu fliegen und natürlich am wichtigsten, hinterher auch wieder sicher zu landen. „Abheben bleibt einem freigestellt, landen aber nicht“, hieß sein Lieblingsspruch. Mit den Gedanken an die makellose Sicherheitsstatistik unseres Mentors, beruhigte ich mich und sagte mir, alles sei in Ordnung,

Es war das Ende unseres Kurses im Gleitschirmfliegen. Die ganze Theorie des Steigens, Ziehens und Angreifens, die wir gelernt hatten, wäre sinnlos, wenn ich jetzt nicht den Sprung von diesem Hügel wagen würde. Bleib ruhig und folge den Anweisungen!, wiederholte ich wie ein Mantra.

Als ich für den Abflug in Position stand, stieg ein Adler mühelos über unseren Köpfen auf und zog seine Kreise. Er schlug kaum mit den Flügeln, als er eine thermische Strömung erwischte. Ich dachte an den Bibelvers: „Sie schwingen sich nach oben wie die Adler.“ 1

Mein Funkgerät knisterte erneut. „Bist du bereit?“

Bejahend nickte ich, machte ein paar tiefe Atemzüge und versuchte, nicht in Panik zu geraten. Was hatte Avi gesagt? „Panik ist der letzte Schritt vor einem Unfall. Wenn du in Panik gerätst, übernimmt dein Unterbewusstsein die Führung und verleitet dich zu Kurzschlusshandlungen.“

Hände zurück, mein Gleitschirm erfasste den Wind, blähte sich auf und zog mich zurück. Ich beugte mich nach vorn und schaute nach oben. Mein Entschluss war gefasst, ich war jetzt soweit, es gab kein Zurück mehr. Der nächste Schritt lautete, loszulaufen. Wie im richtigen Leben, wenn uns die Kraft fehlt, um unser Ziel zu erreichen, werden sich die Umstände gegen uns verschwören. Wenn ich an Geschwindigkeit verliere, wird der Gleiter seitwärts abdriften und seine eigene Reise mit mir unternehmen. Ich musste ihm sagen, was er meiner Meinung nach zu tun hatte. Flieg! Bring mich wieder sicher nach unten!

„Lauf!“

Nur zwei Schritte, und ich war oben. Das war einfacher, als gedacht, eher wie in einem Skilift als in einem Flugzeug. Ich stieg hoch, genoss die majestätische Aussicht auf blaue Berge über einem klaren See. Ich zog sanft an der Bremse, um nach rechts zu fliegen. Der Gleitschirm gehorchte, dann links und wieder rechts, dann nach innen für den Landeanflug und das Aufsetzen – nicht so sanft wie erhofft, doch auch nicht zu hart, für das erste Mal.

Ich fing an, meine Landung zu kritisieren, und sagte zu Avi, was ich es das nächste Mal besser machen würde. „Geh nicht so hart mit dir selbst ins Gericht“, tadelte er mich, „jede sichere Landung ist eine erfolgreiche Landung.“

Alle klatschten, ich schloss mich an. Wir waren jetzt „Brüder“. Wir bejubelten jede Person, die landete, und fühlten uns durch die Tatsache verbunden, uns alle unseren Ängsten gestellt und gewonnen zu haben.

Nachdem wir den Moment ausreichend genossen hatten, begann ich eine Unterhaltung mit unseren Lehrern, den Gründern einer der größten Schulen für Gleitschirmfliegen in Indien.

Avi, der Geschäftsführer, und seine Frau Anita haben beide gut bezahlte Stellen in Unternehmen aufgegeben, um ihren Traum wahrzumachen. Am Anfang war es nicht leicht gewesen. Ich fragte Anita, was für sie die Hauptfaktoren für den Erfolg ihrer Bemühungen gewesen seien.

„Wir haben alle Brücken hinter uns abgebrochen. Versagen war keine Option. Es hieß nur „tot oder lebendig“ – und wir hatten kein Interesse am Tod.“

Es bedeutete einige Jahre der Plackerei. Die beiden reisten viel, um ihre Idee bei Firmenveranstaltungen vorzustellen oder überall dort, wo sie einen Termin bekamen. Ein paar Mutige versuchten es, dann verbreitete sich die Nachricht über das Angebot, und jetzt fliegen sie fast jeden Tag.

Ich fand heraus, es gab bei diesen Unternehmern auch eine tiefe spirituelle Seite ihres Charakters. Es war mehr als nur der Adrenalinkick oder ein riskantes Geschäftsmodell. Es war ein innerer geistiger Flug für sie, und diesen möchten sie mit anderen teilen.

„Gleitschirmfliegen ist wie das Leben selbst“, erzählte mir Avi. „Wir müssen unsere Schwierigkeiten überwinden und unseren Herausforderungen begegnen. Wir können zwar Hilfe von anderen erhalten, doch letzten Endes müssen wir es alleine meistern. Wir müssen uns unseren Ängsten stellen, unsere Zweifel loslassen und einfach drauf losfliegen!“

  1. Jesaja 40:31