Wir alle machen Lebenserfahrungen, die Narben hinterlassen, und unabhängig davon, ob sie körperlicher oder emotionaler Natur sind, versuchen wir oft, sie zu verbergen, aus Angst davor, was andere denken könnten, wenn sie sie sehen würden. Diese Narben könnten alles an uns selbst sein, wofür wir uns schämen und was wir versuchen, zu verbergen – wie zum Beispiel versteckte Verletzungen aus der Vergangenheit, innere Kämpfe, denen wir uns stellen müssen, körperliche Eigenschaften, auf die wir nicht stolz sind, usw. Im Laufe meines Lebens habe ich immer wieder gelernt, dass es in der Tat eine große Freiheit bedeutet, offen über unsere Narben zu sprechen, anstatt sie zu verbergen. Hier ist ein Beispiel für eine meiner sprichwörtlichen Narben, über die ich gelernt habe, mich nicht zu schämen.
Vor einigen Jahren gab ich eine musikalische Darbietung für die Studenten einer Universität. Am Ende kam ein junges Mädchen, das im Publikum gewesen war, auf mich zu und erzählte mir, wie sehr ihr das Programm gefallen hatte. Dann stellte sie eine Bitte, für die ich noch nicht bereit war. „Würde es Ihnen etwas ausmachen für einen Moment bitte Ihre Sonnenbrille abzunehmen. Ich möchte Ihre Augen sehen.“
Solange ich mich erinnern kann, trage ich eine Sonnenbrille, wenn ich ausgehe oder mit anderen Menschen zusammen bin. Obwohl ich mich nicht schämte, blind zu sein, war es das erste Mal, dass ein völlig Fremder meine Augen sehen wollte, was mich ein wenig verunsicherte. Aber ich sagte mir, Was ist schon dabei, besonders wenn es unwahrscheinlich ist, dass du sie je wiedersehen wirst?
Ich nahm die Sonnenbrille ab und machte mich innerlich für scheinbar mehrere Minute, jedoch eher weniger, auf einen Kommentar gefasst. Schließlich sagte sie: „Ihre Augen sind wunderschön. Es gibt keinen Grund, sie zu verstecken!“ Danach sah ich sie nie wieder, aber ich habe auch nie vergessen, was sie sagte.
Einige Jahre später lernte ich über das Internet das Mädchen kennen, welches jetzt meine Freundin ist. Wir wohnten nicht in der gleichen Stadt, also unterhielten wir uns zunächst über Google Hangouts und beschlossen dann, es mit Skype zu versuchen. Der erste war nur ein Audioanruf, da ich nicht daran gedacht hatte, einen Videoanruf zu machen. Als sie vorschlug, es beim nächsten Mal mit einem Videoanruf zu versuchen, stimmte ich ihr zu – ich fühlte mich mehr als nur ein bisschen nervös.
Vor dem Anruf setzte ich aus reiner Gewohnheit meine Sonnenbrille auf. Ich wusste, wie sie half, meine Präsentation zu verbessern, wenn ich einen Auftritt hatte, und ich wollte mich von meiner besten Seite zeigen. Aber zu meiner Bestürzung sagte sie nach der ersten Begrüßung: „Ich hoffte, deine Augen zu sehen!“
Diesmal war ich durch und durch nervös. Im Gegensatz zu dem Mädchen von der Universität sprach ich mit jemandem, dessen Meinung mir wichtig war, aber es hatte keinen Sinn, das Unvermeidliche hinauszuzögern.
Als ich die Brille abnahm, hatte ich das bekannte Gefühl, genau gemustert zu werden. Sie sagte: „Was für schöne Augen! Sie brauchen die Brille nicht, wenn Sie mit mir reden!“
Neulich hörte ich eine kurze, bewegende Geschichte, die deutlich zeigt, wie wertvoll bestimmte Narben aufgrund der Erinnerungen, die sie mit sich bringen, sein können. Sie erzählt von einem Jungen, der von einem Krokodil angegriffen wurde, als er in einem Teich in der Nähe seines Hauses schwamm. Er schrie laut auf, als das Tier sein Bein schnappte, und seine Mutter, die die Schreie im Haus hörte, kam herausgerannt und packte ihn an den Armen. Sie hielt ihn mit aller Kraft fest und grub dabei ihre Nägel in sein Fleisch, bis ein Nachbar, der die Schreie ebenfalls hörte, mit seiner Pistole herüber eilte und das Krokodil erschoss.
Während sich der Junge langsam erholte, kam ein Zeitungsreporter zu ihm und fragte ihn, ob er ihm die Narben an seinen Beinen zeigen würde, in die ihn das Krokodil gebissen hatte. Er krempelte seine Hosenbeine hoch. Dann sagte er: „Aber das hier sind die Narben, die Sie sehen müssen“, während er die Ärmel seines Hemdes hochkrempelte und die Fingernagelabdrücke seiner Mutter an den Armen, wo sie ihn gepackt hatte, zeigte. „Die habe ich“, sagte er, „weil meine Mutter mich nie losgelassen hat!“
Jesus hatte auch Narben. Selbst nach Seiner wundersamen Auferstehung hatte Er immer noch die Narben der Nägel an Seinen Händen und ein Loch in der Seite, wo Er durchstochen worden war. Obwohl es Ihm durchaus möglich war, sie verschwinden zu lassen, entschied Er sich nicht nur dafür, sie zu behalten, sondern zeigte sie auch bereitwillig Seinen Nachfolgern, um ihnen zu beweisen, dass Er tatsächlich wiederauferstanden war, wie Er es versprochen hatte.
Wenn Jesus sich also nicht für Seine Narben schämte, warum sollten wir uns dann für unsere schämen? Wenn wir uns dafür entscheiden, unsere Narben nicht zu verstecken, sondern offen sichtbar zu tragen, kann Gottes Licht und Liebe durch sie hindurch scheinen und einen unauslöschlichen Einfluss auf das Leben anderer zu Seiner Ehre ausüben. „So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“ 1
- Matthäus 5,16 ↑