Sie wird als das menschlichste aller Instrumente bezeichnet, weil sie die edle Aufgabe hat, unsere tiefsten Emotionen auszudrücken. Sie singt in ihrer tiefen, eindringlichen Resonanz, um unsere Seele zu berühren. Oft wird im bewegendsten Teil eines Films eine Geige gespielt, um die gefühlte Emotion zu unterstreichen. Wie der berühmte Violinist Joshua Bell sagte: „Wenn man ein Geigenstück spielt, ist man ein Geschichtenerzähler.“

Was macht diese Instrumente so besonders? In den letzten 300 Jahren seit den goldenen Tagen des Geigenbaus nach dem Stil von Stradivari sind viele Studien durchgeführt worden. Geigen wurden auf hundert verschiedene Arten geröntgt, analysiert und vermessen, doch das Geheimnis bleibt bestehen. Manches lässt sich nicht messen.

Hoch in den italienischen Alpen gibt es einen Wald namens Der klingende Wald (Il Bosco Che Suona). Hier werden große Geigen geboren. Die besten Bäume überdauern ein raues Klima. Lorenzo Pellegrini ist ein Förster oder ein Waldgärtner, wie er sich selbst nennt, der uns leidenschaftlich erzählt, wie Geigenbäume wachsen sollen: „Langsam, langsam, langsam! Oben in den Bergen wachsen sie manchmal so langsam, dass sie ganz aufhören zu wachsen. Sie sammeln nur Kraft. Es gibt hier oben Bäume, die tausend Jahre alt sind. Können Sie das glauben? Und es sollte nicht zu nass sein. Das Herz des Baumes sollte trocken bleiben. Das ergibt das beste Holz. Solide. Enorme Resonanz!“, erklärt er.

Daran sollten wir denken, wenn wir weinend durch trockene Zeiten oder das Bachatal gehen, wie der Psalmist es nennt. Vielleicht bereitet uns der Geigenbauer darauf vor, ein Instrument zu werden, das wunderbar resoniert und den Zuhörer zu Freudentränen bewegt.

In biblischen Zeiten gab es auf dem Weg nach Jerusalem eine trockene, dürre Gegend, in der eine Art „weinender Baum“ vorkommt (tropfendes Harz). Wenn die Menschen reisten, kamen sie durch diesen ermüdenden, „weinenden“ Ort, aber die schwierige Reise war es am Ende wert.

Welche Freude für diejenigen, deren Kraft vom Herrn kommt und die sich auf eine Pilgerreise nach Jerusalem begeben haben. Wenn sie das Tal der Tränen durchschreiten, wird es zu einem Ort der erfrischenden Quellen werden. Der Herbstregen wird es mit Segen überziehen. Sie werden immer stärker werden, und jeder von ihnen wird in Jerusalem vor Gott erscheinen. 1

In gleicher Weise können diejenigen, die in diesem Leben Leid erfahren – und wer tut das nicht? –, in ihrem Glauben an Gott Kraft finden? Die Reise eines gläubigen Christen durch Zeiten der Not ist eine schrittweise Expedition „von Stärke zu Stärke“.

Der perfekte Baum wird aufgrund seiner tonalen Qualität von Personen ausgewählt, die auf diese Aufgabe spezialisiert sind. Menschen wie Marcello Mazzucchi, ein Förster im Ruhestand, nennt sich selbst „Baumhörer“ und sagt: „Ich beobachte sie, ich berühre sie, manchmal umarme ich sie sogar. Hören Sie genau hin, und sie erzählen Ihnen ihre Lebensgeschichte, ihre Traumata, ihre Freuden, alles. Solch bescheidene Geschöpfe.“ Endlich findet er einen, der ihm perfekt erscheint: „Schauen Sie, er schießt ganz gerade nach oben. Er ist sehr zylindrisch. Keine Äste am Boden. Wenn Sie mich fragen, da ist eine Geige drin gefangen.“

Mazzucchi nimmt einen Handbohrer heraus und dreht ihn wie einen Korkenzieher durch die Rinde hindurch. Er lauscht aufmerksam auf das Klopfgeräusch, das der Bohrer jedes Mal macht, wenn er auf einen neuen Jahresring trifft. Er zieht eine Bohrprobe heraus und deklariert nach sorgfältiger Untersuchung: „Magnifico!

Jesus sagt, dass nicht wir Ihn auserwählt haben, sondern Er uns. 2 Aber anders als der perfekte Geigenbaum wählt Jesus die Menschen nicht aus, weil sie gut oder perfekt sind. Wenn wir auf Bibelhelden wie Noah und Abraham oder die zwölf Jünger zurückblicken, stellen wir fest, dass sie, genau wie wir, voller Fehler sind. Doch der Herr sah das Potenzial in jedem von ihnen und etwas, das Magnifico ist, dessen Existenz ihnen selbst nicht bewusst ist.

Vor dem Fällen vergewissert sich Mazzucchi, dass in der Nähe kleine Fichtenschösslinge für die nächste Generation von Geigen wachsen. Wenn ein erwachsener Baum entfernt wird, fällt mehr Sonne ein und fördert das Wachstum der Setzlinge. „Sobald ein Baum gefällt wird, können die jüngeren Bäume, die im Schatten gelitten haben, schneller wachsen“, sagt er. Und einige von ihnen werden selbst zu Musikinstrumenten, die noch in Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten gespielt werden können. Der Baum stirbt, lebt aber in seiner neuen Form weiter.

Genau am richtigen Tag, wenn alle Bedingungen optimal sind, wird der Baum in Bretter geschnitten und zum Trocknen ausgelegt. Die Trocknungs- bzw. Reifezeit eines Geigenholzes beträgt in der Regel zehn Jahre oder mehr, je nach Größe und Dicke des Holzes. Fünfzig Jahre altes Holz ist sogar noch besser.

Wenn du das nächste Mal den eindringlichen Klang einer Geige hörst, erinnere dich an alles, was in sie hineingegangen ist. In ähnlicher Weise bist du vielleicht ein in Arbeit befindliches Werk, und was du jetzt durchmachst, ist nur eine Vorbereitung auf den magischen Moment, wenn sich der Vorhang öffnet und der Meister Seinen Bogen auf deine Saiten legt, damit du deine Geschichte singen kannst.


  1. Psalm 84,5–7
  2. Vgl. Johannes 15,16