Vor längerer Zeit las ich ein paar Tipps darüber, wie man mit seinen Mitmenschen gut auskommt.

  1. Sprich freundlich.
  2. Lächle.
  3. Sprich dein Gegenüber mit dem Namen an.
  4. Sei freundlich.
  5. Kommuniziere und sei offen.
  6. Nimm Anteil an deinen Nächsten.
  7. Sei großzügig mit Lob, Ermutigung und Achtung.
  8. Sei aufrichtig interessiert an den Gefühlen Anderer.
  9. Vermeide Auseinandersetzungen.
  10. Sei hilfsbereit.

Das sind tolle Tipps, dachte ich und entschloss mich, zu versuchen, sie in meinem täglichen Leben anzuwenden. Allerdings konnte ich nicht ahnen, wie sich genau am nächsten Tag dafür eine Gelegenheit bieten würde – aber nicht so, wie ich es erwartet hatte.

Meine Frau war verärgert, weil ich ihr nicht geholfen hatte, den Wäschekorb hinauf zum Dachboden zu tragen. In unserem Haus gibt es sechs Treppen, die man zuerst bewältigen muss, um nach oben zu gelangen. Deshalb ist es eine ziemliche Strapaze, einen Korb nasser Wäsche zum Aufhängen nach oben zu schleppen.

Ich versuchte, ihr klar zu machen, ich hätte den Korb gerne hochgetragen, wenn sie mich nur gefragt hätte. Aber sie schien davon überzeugt zu sein, dass ich mich absichtlich davor drücken wollte. Wie unfair! Ich war aufgebracht, und so sehr ich mich auch mühte, der einzige Tipp, der mir noch einfiel, war Punkt Nr. 9: „Vermeide Auseinandersetzungen“ – aber dafür war es bereits zu spät.

Mir fiel ein, wie Julius Cäsar in Gedanken die 26 Buchstaben des Alphabets aufsagte, bevor er den Mund aufmachte, wenn er sich ärgerte. Ich war aber sehr aufgebracht und brauchte weit mehr als nur 26 Buchstaben, um mich von einer unbedachten Äußerung oder einem übereilten Handeln abzuhalten. Dann fiel mir das Gedicht „Lass es sein“ ein.

Lass es sein

Ein Mensch von wahrer Größe
gibt sich niemals die Blöße,
Sich aufzuregen über Worte
Von der geringen Sorte.
Er lässt sie kommen und auch gehen,
Ohne sich angegriffen zu sehen.
Gelassen zwinkert er und schmunzelt,
Statt dass er seine Stirne runzelt,
Denn er bemerkt im Lauf der Jahre,
Was andres macht nur graue Haare.
Fragst du dich: Ärgern – ja oder nein?
Da sag ich einfach: lass es sein.
– von Virginia Brandt Berg (1886–1968)

Nach einer Weile beruhigten sich unsere Gemüter, und wir versöhnten uns. Ich entschuldigte mich bei meiner Frau mit einem Geschenk und einem Kuss. Und irgendwie schien der Wäschekorbvorfall schnell unwichtig geworden zu sein. Nachdem das Problem nun zutage getreten war, werde ich beim nächsten Waschtag – darauf kannst du wetten – Tipp Nr. 10 beherzigen: „Sei hilfsbereit.“